Partys, Tanzwut und die Krise als Urzustand der Unterhaltungsindustrie: Oliver M. Piecha erzählt im Gespräch mit dem SCHIRN MAG wie sich im Frankfurt der 1920er Jahre ein sehr eigenes Vergnügungs- und Nachtleben entwickelte. Von Katharina Cichosch.
[…] Eine These aus „Roaring Frankfurt“: Frankfurt war kein „Laboratorium der Moderne“, hier wurde die Moderne in den Zwanziger Jahren längst praktiziert. Können Sie noch einmal erklären, was Frankfurt für Sie zu einer dezidiert westlichen Großstadt machte?
Frankfurt war eher weltoffen und sehr pragmatisch geprägt. Man fühlte sich am Main vom preußischen Berlin aus eher gegängelt und vernachlässigt. Das war ja ein Preußen, das im Osten bis zur damaligen russischen Grenze reichte, und dem mit seiner noch halbfeudalen Sozialstruktur und dem tonangebenden Militär dieses seltsame Frankfurt mit seinen internationalen Handelsverbindungen und den demokratischen Traditionen der Revolution von 1848 auch nie recht geheuer war.
Frankfurt galt in der Weimarer Zeit als „republikanisch“ gesonnen, dafür steht zum Beispiel auch die berühmte „Frankfurter Zeitung“. Alle wichtigen überregionalen Zeitungen befanden sich in damals in Berlin – außer der „Frankfurter“. Und dieses große liberale Blatt war die im Ausland meistbeachtete deutsche Zeitung, sie war das intellektuelle Reservoir der Stadt. Auch architektonisch war Frankfurt unglaublich modern: Der großflächige Siedlungsbau, das Neue Frankfurt –selbst den Frankfurter Wappenadler gab es in modernem Design. Oder das Waldstadion – Wahnsinn, wie modern das bis heute wirkt! Licht und Luft und Freibad, das war die andere Seite der Weimarer Kultur neben Kabarett, Kokain im Bahnhofsviertel und Tanzkapellen.