Der Berghang glitzert und funkelt im späten Nachmittagslicht. Unten liegt das wuchernde Sulaimaniyya im Dunst, eine chaotische Stadtlandschaft voller gestapelter Retortensiedlungen und nie zu Ende gebauter Wohnblockruinen türkischer Bauunternehmen. Der glitzernde Abhang des Hausbergs Azmar ist jedoch keineswegs mit Edelsteinen übersät; die Sonne spiegelt sich in unzähligen weggeworfenen Plastikflaschen.
Im Oktober ist es im Nordirak immer noch heiß bei weit über 30 Grad – ist es bloß ein ungewöhnlich heißer Spätsommer, oder verändert sich das Klima? Jedenfalls trinkt man Unmengen von Flüssigkeit, in jedem Restaurant bekommt man zuerst eine kleine Flasche Wasser auf den Tisch gestellt, in jedem Büro, in jedem Haus, selbst noch im Flüchtlingszelt bekommt der Besucher zuallererst Wasser angeboten; die Sitte ist alt, aber früher bekam man das Wasser in ein Glas eingeschenkt und auf den Restauranttischen standen Wasserkannen. Jetzt gibt es immer und überall diese kleinen Plastikflaschen, oder gleich Plastikbecher mit Aludeckel zum Aufreißen.
„Hemmungslose und fortlaufend steigende Müllproduktion“
Im Nahen Osten liegen es viele Problemfelder, der Müll gehört dazu. Und was einem Besucher aus dem zeitgenössischen Mitteleuropa hier vor allem auffallen mag, das ist eine Art hemmungsloser, sich fortlaufend steigernder Müllproduktion, zumal was den Alltag der Menschen und ihren Plastikkonsum angeht; ohne jede Idee, wie damit auch nur einigermaßen sinnvoll umgegangen werden könnte – vom Begriff der „Nachhaltigkeit“ einmal ganz zu schweigen.
Nachhaltigkeit, das ist ziemlich genau das Gegenteil von der Art und Weise wie hier in der Region gewirtschaftet wird, egal ob das nun die unzähligen Plastikflaschen betrifft, die überall täglich geleert werden, oder die wuchernden Stadträume ohne reguläre Kanalisation oder gar funktionierende Kläranlagen, mit diesen schnell hochgezogenen Bauten aus schlechtem Beton und fehlender Instandhaltung, die mit ihrer Fertigstellung praktisch übergangslos das Verfallsstadium übergehen. Überhaupt lässt sich ausgehend vom Müll ein weitreichendes Deutungsmodell für grundlegende Probleme der Region ableiten: Warum werfen Menschen leere Plastikflaschen einfach in die Landschaft, warum ist der öffentliche urbane Raum so verwahrlost und abweisend – und was hat das möglicherweise mit den Erfahrungen von Diktatur und einer Bevölkerung zu tun, die nicht aus Bürgern und Bürgerinnen besteht, sondern aus Objekten von Herrschaft, aus Untertanen?