Dschihadist und Herrenmensch

Wiener Zeitung, 10.12.2014:

Oliver Piecha ist Co-Kurator des Filmfestivals „This Human World“, das derzeit im Top-Kino in Wien läuft. Der deutsche Historiker und Journalist ist Nahost-Spezialist, das Festival hat mit Filmen wie „False Alarm“ und „Syria inside“ einen Syrien-Schwerpunkt. Im Gespräch mit der „Wiener Zeitung“ stellt Piecha Verbindungen  zwischen dem Heroenkult des syrischen Dschihadismus und dem Faschismus her, er sieht Parallelen zwischen Islamisten und dem Männerbund, der nach dem Ersten Weltkrieg direkt in den Nazi-Wahn und einen neuen Krieg geführt hat. zwischen dem Heroenkult des syrischen Dschihadismus und dem Faschismus her, er sieht Oliver Piecha: "IS tut das, was jeder Staat mit totalitärem Anspruch tut: Er baut Straßen."Parallelen zwischen Islamisten und dem Männerbund, der nach dem Ersten Weltkrieg direkt in den Nazi-Wahn und einen neuen Krieg geführt hat.

„Wiener Zeitung“:Sie meinen, die Verbrechen, die der Islamische Staat (IS) in Syrien und im Irak begeht, regen uns deshalb so auf, weil das Ganze relativ frisch in unserer Erinnerung verankert ist. Sie erwähnen immer wieder die Männerbünde in den 1920er Jahren am Vorabend des Nationalsozialismus, die Freikorps, den Stahlhelm. Das erinnert mich an Klaus Theweleit, der das alles in seinem ersten Werk „Männerphantasien“ beschrieben hat. Die IS-Dschihadisten als Männerbund also, wie er den Deutschen nur zu vertraut ist?

Oliver Piecha: Ich hätte gerne gewusst, was Theweleit vom Islamischen Staat hält. Über die IS-Propaganda könnte man einen Nachfolgeband zu „Männerphantasien“ schreiben. Wenn man sich das Hochglanz-Internet-Magazin vom IS ansieht, dann ist das ein Männermagazin für Dschihadisten. Nachtaufnahmen von Kanonen, hell angeblitzt. Da heißt es: Ich habe die größte Kanone, den größten Panzer. Das ist wie Satire, wie bei Monty Python, die auch alles ins Groteske gezerrt haben. Der Text zu den Kanonen-Bildern beschreibt genau, wie Kriegsbeute aufgeteilt wird. Das ist das perfekte Männer-Magazin. Man blättert um und erwartet: Jetzt kommt Grillen für richtige Männer. So ist das aufgemacht. IS bietet den Leuten, die in den Kampf gehen, tatsächlich etwas an. Man bekommt Geld, man kann seine übelsten Fantasien ausleben, es gibt Sklavinnen. Es gibt Online-Artikel, in denen wird es als Menschheits-Fortschritt dargelegt, dass IS die Sklaverei wieder eingeführt hat. Wenn man sich in dieses abstruse Gedankengebäude hineinbegibt, ist aber alles wieder sehr logisch aufgebaut.

Was sagt eigentlich der Feminismus zu IS?

Da überwiegt die Abscheu. Man hat sich jedoch, zumindest meines Wissens nach, noch nicht wirklich damit auseinandergesetzt. Aber IS hat ja eine eigene Frauenpolitik.

Was bietet der IS den Frauen an?

Da gibt es eine Website von einer Dschihadistin, einer jungen Ärztin aus Malaysia, auf der man Blog-Einträge als Fortsetzungs-Roman lesen kann. Wie eine Soap. Sie hat einen Dschihadisten-Kämpfer geheiratet, ist nach Syrien gegangen und beschreibt Szenen und Personen aus ihrem Alltag, aus ihrer Ehe: der Mann der Nachbarin, der gefallen ist. Der eigene Mann, der von der Front heimkommt. Es ist bizarr. Dazwischen findet sich so eine Jungmädchen-Bebilderung. Tauben, blauer Himmel, garniert immer mit Kalaschnikows und roten Rosen. Ganz wichtig in dem Blog ist eine Kontaktadresse, bei der man sich melden kann, wenn man auch hinkommen will.

Die Männer haben die Kanonen, die Frauen die Romantik. In Österreich gab es eine große Diskussion, weil zwei junge Mädchen in den Dschihad gezogen sind. Was macht diese IS-Romantik genau aus?

Von der Ikonografie ist es eine Jungmädchen-Romantik, die versprochen wird. Man muss auch nicht gleich heiraten, es gibt so eine Art Ledigen-Wohnheime. Transportiert wird auch die Vorstellung von einer heilen Familie: Wir haben hier eine ganz tolle Gemeinschaft. Dennoch immer gepaart mit einer gewissen Militanz. Es gibt eine bewaffnete Frauen-Einheit in Raqqa (inoffizielle Hauptstadt des IS, Anm.), die jetzt auch schon Kontrollfunktionen hat. Von IS werden Bilder von Frauen mit Kalaschnikow verbreitet. Da geht dann die IS-Mutter, voll verschleiert, in der einen Hand das Kind und die Kalaschnikow baumelt hinten am Rücken. Das hat letztlich mit dem traditionellen Islam nichts zu tun. Aber es geht ja ganz bewusst um Tabubruch: Die junge Muslima, die sagt: Ich gehe jetzt nach Syrien ins Kalifat, die opponiert ja gegen den patriarchalen Islam ihres Vaters.

Es wird das auf die Spitze getrieben, was der Vater predigt?

Man hat das ja vor Augen: Da sitzt der patriarchale Vater und bestimmt alles und dann kommt die Tochter und sagt: Nein, ich bin die wahre Gläubige. Das ist Rebellion. Die jungen Frauen fahren nach Syrien – in der traditionellen Vorstellung geht das gar nicht. Die brechen aus einem Rollenmodell aus, um sich in ein anderes, fragwürdiges zu begeben.

Spielt das Abenteuer eine Rolle? Und die Frage ist, was erleben sie dann dort? Kommen sie dann nicht demütig und geläutert wieder zu Hause angekrochen?

Es ist schwierig, da wieder rauszukommen. Letztlich ist das eine Sektenstruktur. Wenn ich als junger Mensch mit wirren Gedanken dort hinkomme und ich stehe das erste Mal vor einer Leiche, gibt es zwei Reaktionen: Entweder man sagt, toll, super, oder man sagt, das habe ich mir so nicht vorgestellt. Mittlerweile ist ja auch die Anfangs-Euphorie bei IS weg. Die hatten ihren Höhenflug, doch der Vormarsch ist vorbei. Das ist das Problem: IS ist eine Bewegung, die muss dynamisch sein. Dann geht das nur noch zurück. An diesem Punkt ist IS jetzt.

Wird deshalb Kobane (kurdische Stadt im Norden Syriens, Anm.) von IS so hartnäckig belagert, damit man wieder einen Erfolg vorweisen kann?

Da geht auch nichts weiter, da ist IS möglicherweise sogar in eine Falle gegangen. Zu erobern gibt es nur einen Trümmerhaufen, das wäre nur ein Propaganda-Erfolg.

Da ist die Frage, worauf man sich dann verlegt?

Vor dem Problem steht IS jetzt. Da müssen sie sich etwas einfallen lassen.

Kommen wir auf die Grundfrage zurück, die 1920er Jahre in Europa. Militanz, Faschismus. Und dann: Islamismus . . .

Die Wurzeln des Islamismus liegen in den 20er, 30er und 40er Jahren. Die blicken nach Europa, dort sehen sie Mussolini, Schwarzhemden, in Deutschland die Braunhemden. Was gibt es 1948 in den Straßen von Kairo? Grünhemden, bei Märschen gegen Israel.

Die Islamisten kopieren den Faschismus?

Nicht nur. Das ist wie überall auf der Welt, es wird geschaut, was gerade en vogue ist. Damals war das Zeitalter der völligen Ideologisierung, man blickt nach Europa. So etwas will man auch, das ist das Junge, Dynamische – eben die faschistischen Staaten in Europa. Gemeinsam mit den europäischen Faschisten teilen die Islamisten das Grundfeindbild, das ist ganz klar die Liberalität. Der Kommunist tut das übrigens auch. Der totalitäre Staat ist für den Islamisten unheimlich wichtig. Das kulminiert dann in der iranischen Revolution 1979, wo man sagt, das ist der dritte Weg, nicht kapitalistisch und nicht kommunistisch. Da kommt dann ein Ideologie-Mischmasch heraus. Der islamische Staat des Khomeini ist etwas Hochmodernes, das gibt es ursprünglich nicht. Der Islamismus ist einer der totalitären Antworten des 20. Jahrhunderts, er teilt den gleichen blutigen Urgrund. Etwas verspätet kommt er Ende des 20. Jahrhunderts heraus. Die Versatzstücke, der Männerbund und der Waffen-Fetischismus etwa ist Teil einer Art von Jugendkultur, ein Sekten-Phänomen. Es hat etwas mit einer Abgrenzungs-Kultur zu tun. Vieles, was diese Dschihadisten antreibt, finden wir bei den Freikorps, in der Jugendbewegung des 20. Jahrhunderts. Diese exzessive Brutalität, das erkennen wir, wenn man sich diese Hinrichtungs-Videos ansieht. Wenn die SS-Männer Handykameras gehabt hätten, wer weiß, welche Bilder dann auf uns zugekommen wären.

Es gibt Bilddokumente von der Ostfront. Da sieht man ja die Massenexekutionen.

Bei den offiziellen IS-Videos wird das als Arbeit präsentiert: Wir müssen die jetzt erschießen, das ist unsere Pflicht. Da schaufeln Leute ihr eigenes Grab. Das kennen wir aus unserer eigenen Geschichte. Die IS-Leute haben die Bilder aus dem Zweiten Weltkrieg gesehen, die kennen das natürlich. Als sie die irakischen Soldaten gefangen genommen haben, sind die ersten Videos aufgetaucht. Da sieht man die staubige irakische Ebene und die Kolonnen von gefangenen Soldaten, eskortiert von einigen Bewaffneten. Und da dachte ich mir, um Gottes willen! Woher kenne ich diese Bilder. Und man hat geglaubt, man sieht das nie wieder. Und gleichzeitig tut IS das, was jeder Staat mit totalitärem Anspruch tut: Sie bauen Straßen.

Des Führers Autobahnen.

Ja. Aber jetzt kommen die Niederungen der Realität. Alles ist von IS niedergerissen und auf den Kopf gedreht, der enorme Werbeeffekt ist verpufft. Jetzt muss der Staat aufgebaut werden. Und da gibt es Probleme mit der Währung, dem Strom. Die Faszination nimmt ab und sie werden massiv zurückgedrängt. IS-Anschläge im Westen sind nicht ihre Baustelle. Israel ist auch nicht Priorität. Was transportiert wird, ist auch Herrenmenschen-Ideologie. Da gibt es die Bilder vom freundlichen Dschihadisten, der an die Kinder Bonbons verteilt und ein paar Bilder später sieht man Massengräber. Das ist, was der Böse verdient. Die Guten und die Bösen. Ich bin Herr über Leben und Tod, ich entscheide darüber.

Das ist für die sozialen Außenseiter, die Nobodys, die aus Europa in den Dschihad ziehen, enorm attraktiv.

Für die ist das der Traum schlechthin. Das Schlechte muss ausgemerzt werden. Es wird gebaut, verteilt, das ist die Volksgemeinschaft, die da drin steckt. Der Feind, da gibt es kein Verhandeln, der muss weg. Der muss ausgemerzt werden.

Interview und Bild: Michael Schmölzer